Page 35 - DerPeutinger11-2015
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POLITIK UND WIRTSCHAFTverfassungswidrig bekämpft, weil er dem Wieder- vereinigungsgebot des Grundgesetzes widerspreche. Der CSU-Vorsitzende und die CSU-Landesgruppe schafften es jedoch nicht, die CDU/CSU-Bundestags- fraktion zu einem Gang nach Karlsruhe zu bewegen. Viele in der CDU fürchteten den medialen Gegen- wind. Auch war Brandts Kurs in der Bevölkerung viel populärer als verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Politik, die faktisch auf das friedliche Ne- beneinander zweier deutscher Staaten abzielte. Al- so versuchte Strauß die bayerische Landesregierung für eine Klage zu gewinnen. Doch Ministerpräsident Alfons Goppel wollte nicht. Er beschied Strauß, mit zwei Ausnahmen wäre das ganze Kabinett gegen ei- ne Klage – causa finita.Strauß war damals CSU-Vorsitzender und Bundestags- abgeordneter; Mitglied des bayerischen Kabinetts war er nicht. Er bestand dennoch auf einer Kabinett- sitzung zum Thema Grundlagenvertrag, an der er als CSU-Vorsitzender ganz selbstverständlich teilnahm. In seinen Memoiren berichtet Strauß von einer „er- bitterten dreistündigen Redeschlacht“. Dabei warnte er die CSU-Minister, durch ein Nein zu einer Klage die Glaubwürdigkeit ihres Parteivorsitzenden „in ge- fährlicher Weise zu beschädigen“. Die Instrumentali- sierung einer Landesregierung für die Deutschland- politik eines Parteivorsitzenden entsprach sicherlichnicht dem Geist der bayerischen Verfassung. Aber Strauß setzte sich mit der ihm eigenen Härte durch. Am Ende stimmten acht Minister für und sechs ge- gen die Klage. Strauß nannte das später beschöni- gend eine „große und klare Mehrheit“.Die Karlsruher Richter verwarfen den Grundlagen- vertrag nicht als verfassungswidrig, trafen jedoch wesentliche Feststellungen: Dass das Wiederverei- nigungsgebot des Grundgesetzes alle Verfassungs- organe – ungeachtet der Moskauer Verträge – binde, dass „Gesamtdeutschland“ unverändert existiere, dass DDR-Bürger „Deutsche im Sinne des Grund- gesetzes“ blieben. Gerade der letzte Punkt sollte sich in der Wendezeit als ganz wichtig erweisen: Unsere Botschaften in Prag oder Budapest konn- ten Menschen mit DDR-Pass nur deshalb Zuflucht und Schutz gewähren, weil sie im rechtlichen Sinn Staatsangehörige der Bundesrepublik waren. Dass Strauß ein gutes Jahr vor dem Mauerfall starb und somit die Wendezeit nicht mehr mitgestalten konn- te, war deshalb eine besondere Tragik.Nein, die Wiedervereinigung vor 25 Jahren war keine Selbstverständlichkeit. Helmut Kohl ging zu Recht als „Kanzler der Einheit“ in die Geschichte ein. Aber der bayerische Beitrag ist mehr als eine Fußnote. Dr. Hugo Müller-Voggarbeitet als Publizist in Berlin. Er hat zahlreiche Bücher über prominente Politiker geschrieben, darunter auch über Bundes- kanzlerin Angela Merkel. www.hugo-mueller-vogg.deDer Peutinger 11 / 201535Foto: Laurenze Chaperon


































































































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