Page 21 - DerPeutinger11-2015
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Martin Luther war zweimal in Augsburg und wohnte bei seinem Freund Prior Frosch im Kloster bei St. Anna. Dort gibt es noch heute die Luther-Stube (li.). Rechts ein von Luther übersetztes Neues Testament, 1523 von dem Augsburger Johann Schönsperger gedruckt.auf, die altgläubigen Prediger am Dom und bei den Dominikanern zu entlassen, zum anderen aber auch darauf, die indirekte Steuer auf Waren, die das einfa- che Bürgertum besonders belastete, aufzuheben und die großen Handelsgesellschaften aufzulösen, die verantwortlich gemacht wurden für die drückende soziale Spannung in der Stadt. Für den Rat war die Empörung des gemeinen Mannes eine besorgniserre- gende Entwicklung, denn eine spezifisch bäuerliche Reformation und der Bauernkrieg mit einem ihrer Zentren in Oberschwaben drohten auszustrahlen in das innerstädtische Unruhepotential. Man versuchte erfolgreich zu beruhigen, indem neben altgläubigen Geistlichen auch Anhänger der Reformation einge- setzt wurden. Ein breites Spektrum unterschiedli- cher theologischer Orientierungen entfaltete sich, am Weihnachtstag 1525 wurde in St. Anna das Abendmahl in beiderlei Gestalt gereicht.Da Augsburg als Wirtschaftsmetropole auch ein Kommunikationszentrum ersten Ranges war, konn- te sich reformatorisches Gedankengut besonders gut verbreiten. Nach Wittenberg war Augsburg der wichtigste Druckort für Luthers Schriften. Zwischen 1518 und 1530 konnten aus elf Offizinen 457 Drucke des Reformators nachgewiesen werden, Schriften zur Verteidigung der römischen Kirche fehlten jedoch fast völlig. Der Rat mahnte zwar zur Zurückhaltung, behelligte die Drucker jedoch kaum. Die Grenzen zwi- schen den Angehörigen der traditionellen Kirche und den reformatorisch Gesinnten verliefen quer durch die Stadtbevölkerung. Die religiöse Orientierung der Führungsschicht folgte aber einem anderen Muster: Die Fugger wiesen nicht nur eine betont aristokra- tische Verhaltensweise auf, sie bewahrten auch am geschlossensten die traditionelle Kirchlichkeit. Dem- gegenüber tendierten die sozialen Aufsteiger um die Familie Herbrot und das zünftisch-mittelständische Seitz-Netz zum Zwinglianismus, während das lange Zeit dominierende und zahlenmäßig umfangreichste Netz um die altpatrizischen Welser sich zwar relativ offen und tolerant verhielt, jedoch insgesamt gegen- über der Reformation aufgeschlossen war. So war zu- nächst keine eindeutige Weichenstellung möglich, da sich die Kräftefelder gewissermaßen konkurrierend in Schach hielten.Die religionspolitische Neutralität des Rates war nicht zuletzt wirtschaftspolitisch bedingt. Zum ei- nen bedrohte die sogenannte „Monopolien“-Frage, die auf die beherrschende Marktstellung der großen Handelsgesellschaften zielte und die mit Peutingers Hilfe abgewehrt werden konnte, die Machtstellung der Reichsstadt, zum anderen gebot die enge Verbin- dung mit dem habsburgischen Kaiser als oberstem Stadtherrn alles zu unterlassen, was den Status der Kommune gefährden konnte. Zumal Augsburg mit dem Herzogtum Bayern und dem Hochstift Augsburg (samt der von Österreich verpfändeten Markgraf- schaft Burgau) von altgläubigen Territorien umgeben war, die Bürgerschaft aber auf dieses Umland zur Versorgung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen an- gewiesen war.Diese Koordinaten mündeten in den sogenannten „mittleren Weg“, den Peutinger propagierte und den die Führungsfiguren trugen, auch wenn sie un- terschiedlichen religiösen Bewegungen zugehörten oder mit ihnen sympathisierten. Deshalb hielt sich Augsburg bei den großen reichspolitischen Entschei- dungen zwischen 1526 und 1530 noch auffallend zu- rück. Selbst als die Konfrontation auf dem zweiten Speyerer Reichstag 1529 nicht mehr zu vermeiden war, schloss sich der Rat nicht der Protestation der evangelischen Stände an, sondern akzeptierte den Reichstagsabschied, der die Aufrechterhaltung des alten kirchlichen Systems zum Ziel hatte. Der Mittel- weg versuchte habsburgische Interessen, behutsame Änderung der kirchlichen Missstände und reforma- torische Anliegen zu vereinbaren.Konsequent verfolgte der Rat diese Linie auch auf dem Augsburger Reichstag von 1530. Zunächst wollte er sich weder der von Melanchthon bewusst zurück- haltend formulierten „Confessio Augustana“ noch der katholischen „Confutatio“ anschließen. Da der Kaiser nach dem Reichstagsabschied zugunsten der alten Kirche jedoch zu einem klaren Votum drängte, verkündeten die Bürgermeister die Abkehr von der bisherigen Neutralitätspolitik: Man wolle Gehorsam gegenüber Kaiser und Reich in allen weltlichen Din- gen zeigen, bezüglich der Glaubensfrage aber könne man den Abschied nicht annehmen – ein Signal, Die Lutherstiege,ein kleines Museum in St. Anna (Fugger- straße 8), erinnert an das Verhör Luthers durch Kardinal Cajetan und an seine nächtliche Flucht.Es gibt auch inter- essante Einblickein die Augsburger Stadt- und Kirchen- geschichte.Der Peutinger 11 / 201521


































































































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