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KONRAD PEUTINGERLuther am LechZu Peutingers Zeit: Augsburg ringt um die ReformationRolf KießlingNoch im ausgehenden Spätmittelalter hatte sich Augsburg zu einer der deutschen Metropolen aufgeschwungen. Ein langfristiger Wirtschaftsboom basierte vor allem auf dem Exportgewerbe von Leinwand und Barchent, bahnte aber über den Ein-stieg in die Montanindustrie und den Metallhandel auch den Weg zu einem zentralen Wechselplatz und Kapitalmarkt. 1535 zählte die Stadt etwa 35.000 Einwohner.Konflikte zwischen Dom (r.) und Rathaus (vorne) prägten das reiche Augsburg zu Be- ginn der Reformation. Der Unmut über das Verhalten der Geistlichen nahm drama- tisch zu und der Ruf nach ei- ner Reform der katholischen Kirche an Haupt und Gliedern wurden immer lauter.Der wirtschaftliche Aufstieg warf jedoch auch er- hebliche Schatten auf das „Goldene Augsburg“. Die Polarisierung der städtischen Gesellschaft in kapital- kräftige Unternehmer sowie einen grundbesitzenden „Stadtadel“ einerseits und eine breite Unterschicht von Handwerkern, Taglöhnern und Dienstpersonal andererseits spitzte sich in dieser Zeit erheblich zu. „Reich und arm“ – die zeitgenössische Formel, die das Bürgertum als Einheit zusammenfasste – waren in der Realität der Lebensverhältnisse weit ausein- andergetreten, und das damit verbundene Unruhepo- tential äußerte sich in Krisenlagen mit Vehemenz. Enorm gestiegene Lebensmittelpreise, Pestwellen und Epidemien taten das ihre, um das Gefühl der Unsicherheit und der Lebensangst zu erhöhen. Eng damit verbunden war eine gesteigerte Frömmigkeit. Die Zahl der Stiftungen, mit denen man sich Fürbitte sichern wollte, erreichte ebenso einen Kulminations- punkt wie die Lektüre volkssprachlicher Erbauungs- literatur. Das Verlangen nach intensiver seelsorgerli- cher Betreuung war unübersehbar.Verfassungspolitisch geprägt war die Reichsstadt von dem Kompromiss zwischen patrizischer Ober- schicht und zünftischer Mitbestimmung, der 1368 gefunden worden war. Allerdings konzentrierte sich die Macht in einer Ratsoligarchie, die sich seit Ende des 15. Jahrhunderts als von Gott und dem Kaiser legitimierte Obrigkeit verstand und sich eigenstän- dige Herrschaftsinstrumente schuf, um die gesamte Bürgerschaft zu kontrollieren. Die Vorstellung, damit den „gemeinen Nutzen“ zu gewährleisten, verwies die übrige Bürgerschaft auf die Rolle von Untertanen.Erhebliche Spannungen ergaben sich mit der Amts- kirche, die sich mit Bischof samt Domkapitel, Chor- herrenstiften, Klöstern und Pfarrern dem Zugriff der Gemeinde entzog. Die kirchlichen Immunitäten bil- deten Sonderbezirke innerhalb der Mauern, und das bedeutete eine Durchlöcherung des bürgerlich-städti- schen Rechts. Das Asylrecht der Kirchen, die Privile- gien der Steuer- und Abgabenfreiheit für die gesamte Geistlichkeit und ihr Personal sowie eine eigene Ge- richtsbarkeit sorgten häufig für Konflikte mit der Der Peutinger 11 / 2015 19Foto: Regio Augsburg Tourismus GmbH

