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KONRAD PEUTINGERHirschkuh und HexenhammerPeutingers Bücher machen Geschichte lebendigHelmut ZähSeine vielen Bücher dienten Konrad Peutinger nicht nur zur Lektüre und als Arbeits- instrumente, vielmehr verwendete er sie ganz bewusst auch in anderer Weise: Um Gedächtnis zu sammeln und der Nachwelt zu überliefern. So nutzte er die großformati-gen Folianten seiner juristischen Fachbibliothek mit einer Rückenhöhe von über 40 cm, um auf den Innenseiten der stabilen Holzdeckeleinbände Einzelblätter einzukleben. Da- bei ging es ihm nur um eine sichere Form der Aufbewahrung, einen Bezug zum Inhalt der Bücher haben die eingeklebten Blätter nicht.Kuriosität aus Peutinger Bibliothek: Huf einer weißen Hirschkuh.Im Vorderdeckel eines 1490 in Bologna gedruckten Kommentars zum Erbrecht befand sich, bis sie im vergangenen Jahrhundert herausgelöst wurde, eine zunächst überaus merkwürdig anmutende kolorierte Federzeichnung des Hufs eines Paarhufers. Glückli- cherweise veröffentlichte der Bamberger Humanis- musforscher Dieter Wuttke – ohne das Augsburger Blatt zu kennen – 1997 einen Aufsatz mit dem Titel „Ex ungula cervam. Sebastian Brant und die Nörd- linger Hirschkuh“, der eine nähere Bestimmung der Federzeichnung erst ermöglichte. Demnach wurde im Jahr 1496 unweit der Reichsstadt Nördlingen eine Hirschkuh von außergewöhnlicher Größe und, wie man annahm, außerordentlich hohem Alter gefan- gen, weswegen man sie König Maximilian schenkte. Dieser ließ einen Huf abtrennen und schickte ihn ei- nem burgundischen Prinzen als Geschenk.Auf dem Weg dorthin machte der Bote in Basel Sta- tion, wo Sebastian Brant den Huf zu Gesicht bekam. Der als Autor des Narrenschiffs bekannte Jurist und Humanist verfasste auf dieses Wunderzeichen – wie auch auf etliche andere – ein Gedicht, das er in einer deutschen und einer lateinischen Version mit einer Holzschnittillustration als Einblattdruck publizierte. Da von beiden Fassungen des Einblattdrucks kein Exemplar überliefert ist, stellt die von Peutinger ein- geklebte Federzeichnung die einzige Bildquelle zur Nördlinger Hirschkuh dar.Auch das ursprünglich im hinteren Deckel dessel- ben Bandes befindliche Blatt ist direkt mit SebastianBrant verbunden. Vermutlich wurden die Blätter, die beide 1496 entstanden, sogar zusammen von Brant an Peutinger geschickt. Bei dem zweiten Blatt han- delt es sich um einen illustrierten Einblattdruck mit einem lateinischen Gedicht Brants auf die Syphilis, das er seinem Juristen- und Humanistenkollegen Jo- hannes Reuchlin widmete. Von diesem Einblattdruck, der zusammen mit einem Nürnberger Konkurrenz- produkt, zu dem kein Geringerer als Albrecht Dürer den Holzschnitt entwarf, als die erste Schrift über die sich damals rasant ausbreitende Seuche überhaupt gilt, ist nur noch ein weiteres Exemplar bekannt. Dies unterstreicht die eminente Bedeutung des Sammlers Peutinger für die Überlieferung solcher Stücke von höchstem kulturgeschichtlichem Wert, deren Überle- benschancen ansonsten denkbar gering waren.Aber nicht nur durch das Einkleben von Einzelblät- tern sammelte und bewahrte Peutinger Gedächtnis in seinen Büchern. Neben unzähligen Randglossen trug er bisweilen auch längere Bemerkungen ein, die in keinem unmittelbaren Bezug zu dem jeweiligen Text stehen, sondern Episoden wiedergeben, die er selbst erlebt hatte. Dabei ging es ihm weniger darum, diese Ereignisse für sich selbst aufzuschreiben, als sie vielmehr für spätere Benutzer seiner Bibliothek, deren geschlossener Erhalt in Familienbesitz ihm ein großes Anliegen war, festzuhalten. Da sein privater Nachlass einschließlich der an ihn gerichteten Briefe fast komplett verloren ist, kommt solchen Einträgen in den Büchern ein spezieller Wert zu, indem sie Ge-14 Der Peutinger 11 / 2015

