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KONRAD PEUTINGERDr. Reinhard Laube ist seit Ende 2013 Direktor der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg. Als Historiker und wissenschaftlicher Bibliothekar ist er für die Weiterentwicklung der im Jahr 2012 verstaatlichten Einrichtung als Regional- und Forschungsbibliothek für Bayerisch-Schwaben zuständig.Bedeutung von „Memoria als Kultur“ (Otto Gerhard Oexle), die von der Erinnerung und damit Gegen- wart der Toten bis zu einer umfassenden Gedächt- niskultur reicht. So lässt er eine Handschrift früh- mittelalterlicher Fuldaer Totenannalen abschreiben, deren Listen von Mönchen, Äbten, Bischöfen und Kö- nigen dem liturgischen Totengedenken dienten. Die Forschung hat in diesem Fall eine bemerkenswerte Akribie bei der Abschrift der Vorlage festgestellt. Ein Nekrolog des Augsburger Barfüßerklosters findet sich ebenfalls in seiner Sammlung.Darüber hinaus sind es römische Inschriften, zu denen auch Grabsteine gehören, eine in einer mit- telalterlichen Handschrift überlieferte Karte des Rö- mischen Reichs, historische Berichte in mittelalter- lichen Chroniken und Urkunden sowie historische Merkwürdigkeiten wie die Zeichnung des Hufs ei- ner berühmten Hirschkuh, Flugblätter wie das von Sebastian Brant zur Deutung der Syphilis und die berühmt-berüchtigte Rechtfertigung der Hexenver- folgung im sogenannten „Hexenhammer“, die hier dokumentiert und tradiert werden. Hinzu kommen Materialien, die er für seine gutachterliche Tätigkeit für Reichsstadt und Kaiser, für seine historische Be- ratertätigkeit in Sachen dynastische Memoria der Habsburger und für seine eigenen Publikationspro- jekte wie das „Kaiserbuch“ zusammentrug.Entscheidend ist, dass Konrad Peutinger die Integ- rität und Überlieferung seiner Sammlung, die auch eine Genealogie und damit die Memoria seines in das Augsburger Patriziat und schließlich den Adels- stand erhobenen Geschlechts beinhaltete, als Ein- heit im Familienbesitz testamentarisch zu bewah- ren suchte. Bis zur Abgabe der Sammlung an das Augsburger Jesuitenkolleg St. Salvator durch Ignaz von Peutingen im Jahr 1718 wurde damit auch die Memoria ihres Begründers und seiner Sammlungs- intention aufbewahrt. Sie weist über persönliche Interessen und Projekte Konrad Peutingers hinaus, der Abschriften mittelalterlicher Texte redigierte und noch einmal ins Reine schreiben ließ, um sie un-verfälscht zu überliefern. Seine Publikation zu den römischen Inschriften ist in der formalen Anlage ein Passepartout für weitere geplante Memorialprojekte. Dabei sind die historischen Akteure letztlich Zeitge- nossen – wie in der Alexanderschlacht von Albrecht Altdorfer, der zwischen dem Zeitalter Maximilians und dem von Alexander dem Großen keinen tren- nenden Zeitenabstand erkennen ließ. Das auf das Jahr 1529 datierte Historienbild vom Kampf gegen die von Darius angeführten Perser vermittelt Histo- ria als Magistra Vitae im Kampf gegen die Wien be- lagernden Türken. Die „Vergangene Zukunft“ (Rein- hart Koselleck) dokumentierte Konrad Peutinger mit sammelnder Distanz in eigens angelegten Sammel- bänden zu Prognostiken. Durch die Aufbewahrung der Quellen und den dadurch gesicherten Augen- zeugenbericht wird nicht zuletzt für den Juristen die Gegenwart der Vergangenheit und die Wahrheit der Darstellung verbürgt.Durch das Gesammelte Gedächtnis werden Pers- pektiven sichtbar, die über die historisch bedingten Grenzen Peutingers und seiner Sammlung hinaus- weisen und heute anschlussfähig bleiben: So wer- den durch den Impuls der Memoria Materialien gesichert, die nicht einfach das Wissen vermehren, sondern Probleme vermitteln, seien es Phänomene wie konkurrierende Deutungen von Gegenwart und Zukunft oder widersprüchliche Überlieferungen. Mit seinen verschiedenen Katalogisierungspro- jekten, die seine Sammlung nach fachlichen und mechanischen Kriterien wie Indices und Alphabet erschließen sollten, sowie dem Versuch einer me- chanischen Aufstellung nach Format, Material und laufender Zählung bietet Peutinger bereits früh Potential für eine überaus moderne Ansicht: Die Sammlung repräsentiert keine gegebene Wissens- ordnung, vielmehr wird die Ordnung durch den Ka- talog und die Fragen des Sammlers und Benutzers hergestellt. Darüber hinaus vermittelt der Jurist im Dienste der Reichsstadt Augsburg einen Eindruck davon, wie über das von ihm favorisierte Vertrags- denken und den sogenannten „mittleren Weg“ im Ausgleich städtischer Parteien und Konfessionen zu- tiefst europäische Werte vermittelt werden: eine Plu- ralität von Gruppen, die in der Stadt-Gemeinde, als einem eigenen, genuin europäischen Rechtsbereich, ausbalanciert werden müssen – der Prototyp einer europäischen Gesellschaft. SchatzkammerDie Augsburger Staats- und Stadtbibliothek gehört zu den bedeutenden Biblio- theken in Deutschland. Unter ihren über 540.000 Bänden sind mehr als 3.600 wertvolle Handschriften. Mit über 1.000 Titeln wird auch der größte zusammen- hängende Teil der Peutinger-Bibliothek von Direktor Dr. Reinhard Laube und seinem Team betreut. Die Sammlung geht zurück auf eine Stadtbibliothek, die 1537 im Zuge der Reformation gegründet wurde, ihr Grundstock waren die Buch- bestände aufgelöster Klöster. 1893 bezog sie in der Schaezlerstraße ein repräsen- tatives Gebäude (Bild). Wegen der Finanznot der Stadt wurde die Bibliothek 2012 verstaatlicht, der Bau wird in den nächsten Jahren saniert und erweitert.12Der Peutinger 11 / 2015


































































































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