Page 11 - DerPeutinger11-2015
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KONRAD PEUTINGERGedächtnis, nicht Geschichte; denn es geht um die Bewahrung von Erinnerung und ihrem Potential in der Eröffnung von auf- und anschlussfähigen Pers- pektiven, und zwar zunächst durch Sicherung ma- terieller Überlieferungsträger mit ihren Texten und Bildern, denen zugleich Besitz- und Gebrauchszu- sammenhänge eingeschrieben sein können. Wäh- rend der suggestive Begriff der Geschichte, die im rhetorischen Ernstfall ihren Geist verströmt, den Mantel wirft oder ihre Vollstrecker findet, eine ver- gleichsweise junge Erfindung ist, ist das Gedächtnis, die Memoria, bereits tief in den Sammlungen von Konrad Peutinger verankert – von den antiken Grab- inschriften über die Abendmahlstexte bis hin zu der dynastischen Erinnerungspolitik der Habsburger Kaiser Maximilian I. und Karl V., die von dem Augs- burger Gelehrten beraten wurden.Hier wird eine okzidentale Erinnerungskultur greif- bar, die der Kirchenvater Augustin in seinen Con- fessiones als humanitäre und zukunftsgestaltende Kraft der Memoria beschrieb und der Universalge- lehrte Gottfried Wilhelm Leibniz in einer vergangen- heitsbeladenen und zugleich zukunftsschwangerente die eigene Sprache verloren hat“. Hinter diesem Urteil darf man getrost Friedrich Nietzsches zweite unzeitgemäße Betrachtung „Über den Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ (1874) vermu- ten und dessen Aufforderung, dass die Historie entweder monumentalisch, antiquarisch oder kri- tisch dem Leben zu dienen habe. Die Folgen dieser Aufforderung und ihrer Engführungen waren nicht nur intellektuell verheerend. Wenn Peutinger „mehr Sammler als Kritiker und Schriftsteller“ gewesen sein soll (Ludwig Geiger, 1874), ist der Versuch viel- versprechend, die Wertung einmal umzupolen und zu prüfen, was dann sichtbar wird.„Gesammeltes Gedächtnis – Konrad Peutinger und die kulturelle Überlieferung im 16. Jahrhundert“ ist genau in diesem Sinne Titel einer Präsentation von Objekten aus Peutingers Arbeitsbibliothek in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg anlässlich sei- nes 550. Geburtstags. In dieser Bibliothek wird der größte überlieferte Teil der ursprünglich über 2.200 Bände und 6.000 Titel umfassenden Bibliothek auf- bewahrt. Weitere Bände sind vor allem in München und Dillingen, aber auch in London und New York nachweisbar. Bereits PeutingersZeitgenossen rühmten seine Sammlung, und heute bewun-dert die Forschung in ihr die damals größte Humanis- tenbibliothek nördlich derAlpen, die mit einem Augs-burger Forschungsprojekt seit1994 rekonstruiert und mit der Publikation des Nachlassinventars derzeit fortgesetzt wird.Von welterschließender Bedeu- tung für diese Sammlung war zum einen die Leitunterscheidung von juristischer und „in aliis et Diuinis et humanis Studiis“ (nicht-juristischer) Litera-tur: Dazu zählen neben derTheologie, Philosophie undRhetorik auch Rubriken wie„Historiae“, „Poetae“ und „Medicina“ sowie zu Thomas Morus und Erasmus von Rotterdam. Nun überrascht es nicht, dass der Jurist Peutinger diese grundlegende Unterscheidung von Juristischem und Nicht-Juristischem anwendet und sogar dement- sprechend seine Wissenswelten auf zwei Räume in seinem Haus am Dom aufteilte. Hier wird das in der Bibliothek gesammelte Gedächtnis an einem Erin- nerungsort anschaulich, der neben seinen Buchbe- ständen auch mit zahlreichen Naturalien und Arte- fakten wie Münzen, Urkunden, Porträts, Graphiken und Briefen angereichert und profiliert ist.Sammlung und Gedächtnis haben eine materielle und eine mentale Seite: Peutinger sammelte in gro- ßem Maßstab Überreste der Vergangenheit, um sie für die Zukunft zu sichern und zu erschließen. Er veranschaulicht auf diese Weise die umfassende Mit dem nach Aus- gleich strebenden „mittleren Weg“ prägte Konrad Peutinger den Proto- typen einer europäi- schen Gesellschaft.Gegenwart wirken sah. Die Peutinger-Forschung ver- misste häufig bei dem verehrten Humanisten stram- me historische Perspektiven in der Darstellung, ja „Kritik, Gestaltungskraft und historische Begabung“. „Diese drei Eigenschaften, zumal die beiden letzten“, so der hochverdiente Peutinger-Forscher Erich Kö- nig im Jahr 1907, „waren nun aber Peutingers starke Seite nicht.“ Es sei offensichtlich – formuliert König drei Jahre später – dass Peutingers „Begabung, seine Urteilsfähigkeit und seine schriftstellerischen Talen- te seinem Wissen nicht entsprachen“.Paul Joachimsen sah 1903 in ihm „ein[en] tro- cken[en] Gelehrten, der in seinem Studierzimmer die Stimmen vergangener Jahrhunderte um sich versammelt, um sich gegen den Ruf des Lebens zu betäuben, und der über dem Zitieren fremder Wor-Für sein „Kaiserbuch“ ließ Peutinger Holzschnitte der Monarchen anfertigen. Die Abbildungen zeigen die Habs- burger Herrscher Friedrich III. (li.) und Maximilian I. (r.).Der Peutinger 11 / 201511Bilder: Staats- und Stadtbibliothek Augsburg


































































































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