Page 30 - DerPeutinger11-2015
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POLITIK UND WIRTSCHAFTHorst Möller, 1943 in Breslau geboren, ist einer der einflus- sreichsten deutschen Histo- riker. Neben Professuren an verschiedenen Universitäten leitete er von 1992 bis 2011als Direktor das Institut für Zeitgeschichte in München und Berlin. In der Festschrift zu seinem 65. Geburtstag hieß es: „Horst Möllers wissenschaftli- che Wurzeln liegen in der Auf- klärung – als Gegenstand wie als Methode.“ Aufklärung war auch sein Motiv, als er die um- fangreichen Archive zu Franz Josef Strauß zu durchforsten begann. Er wollte, so Möller imPeutinger-Interview, eine Bio- graphie vorlegen, in der nicht nur alle Klischees wiederholt, sondern aufgrund der Quellen- arbeit entweder bestätigt oder auch widerlegt werden“. In sei- nem Buch „Franz Josef Strauß – Herrscher und Rebell“ (Piper Verlag, München, 823 S., 39,99 E) hat Möller mehr Kli- schees widerlegt als bestätigt.Der Peutinger: 300 Regalmeter schriftlichen Nachlass gesichtet, 826 Seiten über Franz Josef Strauß geschrie- ben. Es soll, so heißt es, „die erste echte Strauß-Biogra- phie“ sein. Welcher Impuls – außer dem 100. Geburts- tag – hat Sie zu dieser Schwerstarbeit getrieben? Horst Möller: Zunächst einmal das Interesse für ei- ne bedeutende Persönlichkeit, die die Nachkriegsge- schichte maßgeblich mitgeprägt hat. Zweitens die Wi- dersprüchlichkeit dieser Persönlichkeit. Drittens, dass Strauß in der Öffentlichkeit wie durch einen Schleier erscheint. Der Schleier, der durch die Fernsehbilder gewoben wurde. Deshalb war ich der Meinung, dass er als sehr wirkungsmächtiger Politiker eine wissen- schaftliche Biografie verdient, in der nicht nur alle Klischees wiederholt, sondern aufgrund der Quellen- arbeit bestätigt oder auch widerlegt werden. Ich wuss- te vorher nicht, was dabei herauskommt.DP: Vor 27 Jahren ist Strauß gestorben, dennoch löst das Kürzel FJS heute noch immer Reflexe aus. Möller: Wenn man mit Jüngeren über die ersten Jahr- zehnte der Bundesrepublik spricht, stellt man fest, dass sie neben Konrad Adenauer eigentlich nur Franz Josef Strauß kennen. Und selbst heute wird fast jede Woche in irgendeiner Zeitung auf Strauß verwiesen: was hätte er gemacht, wie hätte er reagiert. Strauß ist auf eine durchaus interessante Weise aktuell ge- blieben.DP: Mehr als Willy Brandt?Möller: Nein. Willy Brandt gehört zwar der gleichen Generation an, aber er hatte seine bundespolitische Zeit erst ab Mitte der 60er Jahre. Strauß dagegen ist unmittelbar nach dem Krieg 1945 als Dreißigjähriger in die Politik gekommen und über 40 Jahre aktiv ge- blieben. Unter seinen Generationsgenossen Helmut Schmidt, Willy Brandt, Walter Scheel, Richard von Weizsäcker, Erich Mende ist er der einzige, der schon in der zweiten Hälfte der 40er Jahre beginnt, in der vordersten Reihe zu stehen. Brandt und Schmidt be- stimmen die Politik der 70er und frühen 80er Jahren sehr stark, aber da ist Strauß immer noch dabei.DP: Sie sprechen von „geronnenen Erinnerungsbil- dern, die sich verselbständigt haben“. Trügt uns die Erinnerung?Möller: Fernsehbilder und Fotos wirken sehr sugges- tiv. Wer einen verfilmten Roman erst sieht und dann liest, sieht das Buch durch die Bilder. Die Interpretati- on ist eingeschränkt durch die Bildmächtigkeit. Inso- fern glaube ich, dass die Bilder über Strauß geronnen sind. Da bleibt immer das gleiche Bild, während die Arbeit an den Quellen, die deswegen für Historiker unverzichtbar ist, es erlaubt, alte Fragen neu zu stel- len und auch Bilder zu korrigieren.DP: Sie konnten Quellen erstmals anschauen? Möller: Ich hatte kein Exklusivrecht für die Quellen, die Familie Strauß hat auch schon anderen Histori- kern Einsicht genehmigt, die jedoch nur spezielle Fragen untersucht haben. Zur Bewertung von Franz Josef Strauß aber gehört, die gesamte Persönlichkeit und die gesamte politische Breite zu betrachten. Zu- dem habe ich neben dem Nachlass auch die Protokol- le der CSU-Landesgruppe, des Landesvorstands, der Bundeskabinette, den Briefwechsel zwischen Helmut Kohl und Franz Josef Strauß und die Gesprächsauf-zeichnungen zum Milliardenkredit von Schalck-Go- lodkowski im Bundesarchiv benutzt. Erschreckend finde ich, dass viele Biografen, egal ob Historiker oder Journalisten, nicht einmal die gedruckten Quellen ein- gesehen haben. Aber man kommt durch die geronnen Erinnerungen nur hindurch, wenn man sich von der langweiligen Wiederholung von Klischees löst, Fra- gen offen stellt und vor allem die Quellen auswertet. Diesen sehr aufreibenden Umweg hat vor mir leider niemand gemacht.DP: Wer heute jünger ist als 30, für den ist Strauß eine Figur aus der Geschichte. Wie würden Sie ihm das Phänomen FJS in knappen Worten erklären? Möller: Strauß war eine in sich sehr komplexe, auch sehr widersprüchliche Persönlichkeit. Er war ein Mann großer Emotionen, gelegentlich auch chole- risch. Andererseits hatte er eine ausgesprochene Ra- tionalität. Er war der intellektuellste unter den wirkli- chen Machtpolitikern der Bundesrepublik. Strauß hat seine Intellektualität, seine Rationalität, seine hohe Sachkompetenz und seine Analysefähigkeit mit dem politischen Willen verbunden, diese Ziele auch durch- zusetzen. Er besaß diese Kombination wie kein zwei- ter unter den damaligen Spitzenpolitikern.DP: An was für einen Menschen erinnern Sie sich? Möller: Auch das ist etwas widersprüchlich. Das ers- te Mal habe ich ihn bei einer Rede gesehen. Er betrat den Saal scheinbar schüchtern mit hochrotem Kopf, begann zögerlich und kam erst nach der ersten Pointe, auf die das Publikum geradezu gebrannt hatte, zu sei- ner vollen Form. Er wirkte auf mich wie ein Künstler, der in dem Moment zu großer Form aufläuft, in dem er Kontakt zu seinem Publikum aufgenommen hat.DP: War er hochmütig?Möller: Nein, das finde ich definitiv nicht, ich würde es sogar ausschließen. Er war aufgrund seiner hohen intellektuellen und sachlichen Kapazität oft ungedul- dig, aber nicht hochmütig.DP: Hätten Sie ihn sich vorstellen können, ihn zum Freund zu haben?Möller: Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Zwar nicht aus eigenem Erleben, sondern aus den Brief- wechseln. Er hatte sehr viele Freunde von Jugendzeit an. Freunde, denen er sehr oft geholfen hat. Hilfsbe- reitschaft ist bei Strauß ein durchgängiges Charakter- merkmal, wobei er nicht selten auch den Falschen ge- holfen hat. Er hat oft Empfehlungsbriefe geschrieben, wenn man ihn darum gebeten hat. Aber da ist auch die andere Seite. Wie das Beispiel einer Jugendfreundin zeigt, die während des Krieges offenbar große famili- äre Probleme hatte. Strauß lag gerade vor Stalingrad – wo er übrigens wegen erfrorener Füße kurz vor der Schlacht wegbeordert wurde – und schreibt an diejeni- gen, die der Familie der Jugendfreundin helfen konn- ten. Sie antwortet ausgesprochen rührend: Dass Du selbst an der Ostfront an unsere Probleme denkst und hilfst, das werde ich dir nie vergessen. Vergleichbare Briefe gibt es ziemlich oft. Man könnte sagen, er hatte ein ausgesprochenes „Helfersyndrom“, man sollte aber eher positiv sagen, er lebte ein Stück christlich-sozia- ler Nächstenliebe. Strauß hat oft ganz privat und per- sönlich geholfen, aber später in seinen hohen Ämtern war er bei seinen Empfehlungen oft zu sorglos.30Der Peutinger 11 / 2015


































































































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